Lohnt sich Leistung? Ist Fairness nur etwas für Romantiker? Auf diese und weitere sozialen Fragen geben die European Championships 2022 eine klare Antwort. In der einmaligen Atmosphäre des Münchner Olympiaparks als Herzkammer der 9fachen Europameisterschaften begeistern sich zehntausende von Zuschauern an den Leistungen der Athleten, wachsen Spitzensportler über sich hinaus, gewinnen Sportarten am Rande der medialen Aufmerksamkeit eine Phoenix-Erfahrung. Die Austragungsstätte der Olympischen Spiele von 1972 war und ist ein Biotop des Spitzensports, wie ich ihn schätze.
Die European Championships 2022 zeigen Leistungen, für die Spitzensportler zusammen mit ihren Trainern und Betreuern jahrelang trainiert haben. Sie haben geliefert. Manchmal erwartungsgemäß, manchmal überraschend. Die Sportler haben sich gegenseitig respektvoll im Wettkampf gemessen. Etwa Zehnkampf-Europameister Niklas Kaul und der Schweizer Simon Ehammer. Die BMX-Akrobaten auf dem Olympiaberg, die Bahnradfahrer im eindrucksvollen Velodrom der Messe München und die Beach-Volleyballer am Königsplatz sowieso.
Fairplay-Momente gab es am laufenden Band. Zwei Bespiele: Im Vorlauf über 3.000 Hindernis stürzt bei etwa einem Drittel der Strecke der führende Däne Vang Christensen. Nahuel Carabana (Andorra) hält an und kümmert sich um den Verletzten. Erst als dieser bedeutet, nicht weiterlaufen zu können, setzt Carabana sein eigenes Rennen fort. Letzter Platz im Wettkampf. Erster Rang im Herzen der Zuschauer, die minutenlang Standing Ovations spenden. Oder die „Observation“ im Lead-Klettern. Bevor es konkret an die Wand ging, berieten sich die Athleten gegenseitig, wie man am besten ans Ziel kommt; gaben sich Tipps wie Freunde trotz Konkurrenz. Und nach dem Wettkampf chillte man in der „Kiss-and-cry-Area“ auf einem Sofa.
Wie oft habe ich bei der Exkursion mit meinen IST-Studenten Besucher-Stimmen aufgeschnappt, die sagten „So muss unser Alltag sein“, oder „So müsste unsere Gesellschaft funktionieren“: Sein Bestes geben. Dafür „trainieren“. Leistung liefern. Gemeinsam wetteifern. Siege feiern. Niederlagen ertragen. Das wir gewinnt. Die European Championships sind kein Multi-Sport-Event. Sie sind eine Statement an uns Alle. Der Event demonstriert menschliche Haltung und lädt zur Nachahmung ein. Nicht nur im Sport, sondern auch in unserer Gesellschaft.
Nach dem Terroranschlag vom 05.09.72 sagte der damalige IOC-Präsident Avery Brundage: „The games must go on!“ – 2022 sollten wir sagen: „The spirit must go on!“
Prof. Dr. Gerhard Nowak
Dekan Sport & Management
Autorenbeschreibung:
Prof. Dr. Gerhard Nowak
Prof. Dr. Gerhard Nowak ist Dekan der IST-Hochschule für Management im Fachbereich Sportmanagement. Er studierte und promovierte an der Deutschen Sporthochschule Köln. Nowak ist Gründer, Inhaber und Geschäftsführer der PR-Agentur Sportline GmbH (seit 1988).
Seit 2015 veröffentlicht Nowak seinen wöchentlichen Podcast „99 Sekunden Sportbusiness kompakt“. 2019 erschien als Fachliteratur sein viel beachteter Herausgeberband „Angewandte Sportökonomie des 21. Jahrhunderts“.
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